Koffer: ABS oder Polycarbonat? Praxis-Tests, Erfahrungen, Tipps

ABS und Polycarbonat und zählen zu den klassischen Kunststoffen für Kofferschalen. Aber welches Material ist besser? 

Wir haben mehrere ABS- & Polycarbonat-Koffer ausprobiert und getestet, berichten von unseren Erfahrungen und stellen die beiden Kunststoffe gegenüber.   

Koffer Material ABS oder Polycarbonat: Was können die beiden Kunststoffe?

ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol) und Polycarbonat zählen zu den thermoplastischen Kunststoffen.(1) Sie erweichen in einem bestimmten Temperaturbereich und sind dann immer wieder von neuem formbar. Beide Kunststoffe eigenen sich für gängige Verfahren wie Spritzgießen oder Extrudieren und lassen sich generell gut ver- und bearbeiten.(2)

Auch die Materialeigenschaften machen die beiden Kunststoffe für Kofferschalen interessant:

• ABS gilt als leicht, relativ schlagfest und widerstandsfähig gegenüber mechanischer Beanspruchung.
• Polycarbonat werden diesbezüglich sogar noch etwas bessere Eigenschaften zugesprochen (3), wobei es von beiden Kunststoffen unterschiedliche Qualitäten gibt. (4)

Durch Beimischen weiterer Stoffe lassen sich die Materialeigenschaften gezielt für bestimmte Anwendungen weiter verbessern, was pauschale Aussagen natürlich erschwert.(5)

Polycarbonat ist ein verhältnismäßig teurer Kunststoff und wird deshalb oft nur verwendet, wenn günstigere Kunststoffe den hohen Anforderungen der Anwendung nicht gerecht werden.(6) ABS ist vergleichsweise günstig (7) und wird gerne für preiswerte Koffer verwendet.

Gewicht und Haltbarkeit: ABS oder Polycarbonat für Koffer?

Die Dichte von Polycarbonat beträgt ungefähr 1,20 g/cm3, jene von ABS ungefähr 1,04 g/cm3.(8) Für Aussagen über das Koffergewicht oder gar die Haltbarkeit ist diese Größe allein natürlich nicht geeignet. Entscheidend ist im Endeffekt die Expertise des Herstellers. Er muss den Koffer so konstruieren und an entscheidenden Stellen verstärken, dass er leicht und zugleich robust ist.

Die von uns getesteten ABS- und Polycarbonat-Koffer in Bordgröße wiegen durchwegs zwischen 2 und 3 kg (eigene Messung):

• Titan X2 (55x40x20 Polycarbonat): 2,3kg,
• Suitline-Trolley (55x35,x20 ABS): 2,4kg,
• Wittchen-Trolley (54x38x20 ABS): 2,6 kg,
• Aerolite-Trolley (55x35x20 ABS): 2,5 kg,
• Hauptstadtkoffer Havel (54x39x23 ABS): 2,9 kg,
• Samsonite Prodigy (55x40x23 Polycarbonat: 2,9 kg

Deutlich leichter sind Koffer aus gewebtem Polypropylen. So bringt der getestete Samsonite Lite Shock (55x40x20) trotz Hartschale nur 1,7 kg auf unsere Waage.

Was die Haltbarkeit anbelangt, haben alle erwähnten Modelle (sowohl aus ABS als auch Polycarbonat) unsere Belastungstests gut überstanden. Wir haben die Koffer mehrere Kilometer über Asphalt und teilweise Schotter gezogen, vollbeladen aus einem Meter Höhe jeweils auf eine Rolle krachen lassen und die leere Kofferschale mit vollem Körpergewicht belastet. Auch die Robustheit der Griffe und des Teleskopgriffs haben wir bei den Testmodellen überprüft. 

Man darf mittlerweile also auch bei so manch günstigem Koffer mit einer ordentlichen Haltbarkeit rechnen. Unterschiede zwischen einzelnen Test-Modellen sind uns dennoch aufgefallen:

• Die Teleskopgriffe sind bei einigen Koffern wackeliger und funktionieren nicht immer zuverlässig,
• die Rollen drehen sich konstruktionsbedingt nicht so ruhig,
• die Reißverschlüsse sind schwerfällig und haken manchmal.
• Auch sind der Reparatur- und Ersatzteilservice und
• die Garantiezeiten bzw -bedingungen unterschiedlich.

All das hängt aber natürlich nicht vom verwendeten Koffermaterial ab.

Zu beachten ist, dass große Koffer stärkeren Belastungen ausgesetzt sind, als die von uns getesteten kleinen Bordtrolleys. Stiftung Warentest hat zuletzt deutlich größere Koffer getestet. Dabei kam es sowohl bei Polycarbonat- als auch ABS-Koffern zu Schäden. So brach der Hauptstadtkoffer Mitte (ABS, 77cm) beim Falltest im Bereich aller vier Rollen, beim Rimowa Essential Trunk Plus (Polycarbonat) riss in einem Test die Schale im Bereich des Griffs.(9)

Schadstoffe, Recycling und Umweltbelastung: Hartschalenkoffer ABS oder Polycarbonat?

Die momentan wirtschaftlich und technisch wichtigsten Polycarbonate werden ua aus Bisphenol A hergestellt. Dieser Stoff gilt seit 2017 nach der REACH-Verordnung, also dem europäischen Chemikalienrecht, als besonders besorgniserregende Substanz. Das ist beachtlich, denn Polycarbonat bzw Bisphenol A wird auch beispielsweise für Flaschen, Konserven oder Behälter im Lebensmittelbereich verwendet. Deshalb hat die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) 2021 neue tolerierbare tägliche Aufnahmemengen festgelegt, die um etwa das 100.000-fache niedriger sind als die bisherigen Werte.(10)

Das bei der Herstellung von Polycarbonat eingesetzte Bisphenol A sollte zwar chemisch stabil gebunden sein, kann aber unter bestimmten Umständen wieder freigesetzt werden. Auch ist denkbar, dass im Fertigprodukt noch kleine Mengen freier BPA-Reste enthalten sind.(11) Teure Labortests zu Schadstoffen in Kofferschalen gibt es bisher kaum. Stiftung Warentest lässt aber zumindest die Griffe der Koffer analysieren.(12)

ABS kommt an sich ohne Weichmacher aus, Hautkontakte gelten als unbedenklich, weshalb der Kunststoff auch gerne für Kinderspielzeug verwendet wird.(13) So setzt beispielsweise LEGO seit den 60er Jahren auf Bausteine aus ABS.(14)

Polycarbonat trägt zu einem gewissen Grad zur Problematik des Mikroplastiks bei. Hier spielt auch die enthaltene Substanz Bisphenol A eine negative Rolle.(15)(16). Zu ABS konnten wir keine diesbezüglichen Hinweise finden. Manche Stellen verweisen auf die hohe Abriebfestigkeit des Kunststoffes.(17)(18)

Sowohl Polycarbonat als auch ABS gelten als gut recycelbar.(19)